Denkmal Erinnerungsort Nationalsozialismus

Denkmal der jüdischen Erkenntlichkeit

von Leah Niederhausen

Der schwierige Umgang mit Denkmälern im öffentlichen Raum ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Im ehemaligen jüdischen Viertel Amsterdams steht das sogenannte Denkmal der jüdischen Erkenntlichkeit (‚Monument van Joodse Erkentelijkheid‘), errichtet vom Amsterdamer Stadtrat als Zeichen jüdischer Dankbarkeit für niederländische Unterstützung im Zweiten Weltkrieg und seit Jahrzehnten Mittelpunkt zahlreicher Debatten.

Das Denkmal der jüdischen Erkenntlichkeit am Weesperplein, Foto Leah Niederhausen

DAS DENKMAL

Das Denkmal aus Kalkstein misst circa vier Meter in der Höhe und zehn in der Breite. Es zeigt fünf Reliefs von Männern und Frauen in gebückter und stehender Haltung. Jedes Relief ist dabei mit einer Inschrift versehen. Von links nach rechts lauten die Inschriften „In Gottes Willen ruhend“ (‚Berustend in Gods will‘), „Mit Ihnen geeint in Abwehr“ (‚Vereend met u in afweer‘), „Beschützt durch Ihre Liebe“ (‚Beschermt door uw liefde‘), „Gestärkt durch Ihren Widerstand“ (‚Gesterkt door uw weerstand‘) und „Trauernd mit Ihnen“ (‚Rouwend met u‘). Mittig ist unterhalb eines steinernen Davidsterns zu lesen: „1940 – 1945; An die Beschützer der niederländischen Juden in den Besatzungsjahren“ (‚Aan de beschermers van de Nederlandse joden in de Bezettingsjaren‘).

Mittleres Relief des Denkmals der jüdischen Erkenntlichkeit am Weesperplein, Foto Leah Niederhausen

DIE ENTSTEHUNG

In der ersten Amsterdamer Ratssitzung nach Kriegsende im Mai 1945 wurde die Gestaltung eines nationalen Denkmals zur Anerkennung der Tapferkeit der niederländischen Bevölkerung während der Besatzungszeit beschlossen. Auf Initiative des jüdischen Ratsmitglieds Maurits de Hartogh (1876 – 1952) wurde einige Monate später ein Denkmal angekündigt, das der außerordentlichen und gefährlichen Aufopferungsbereitschaft vieler Niederländer:innen zum Schutz der jüdischen Bevölkerung erinnern sollte. Entworfen vom jüdischen Architekten Johan Wertheim (1898 – 1977) wurde das erste nationale niederländische Denkmal anlässlich des Zweiten Weltkriegs Ende Februar 1950 am Weesperplein – zentral im ehemaligen jüdischen Viertel gelegen – eingeweiht. Aufhänger war dabei der Jahrestages des Februarstreiks, bei dem im Februar 1941 tausende Niederländer:innen gegen die NS-Besatzung protestierten.

DER HINTERGRUND

Das Denkmal der jüdischen Erkenntlichkeit gedenkt eines übermäßigen niederländischen Einsatzes zum Schutz der jüdischen Bevölkerung während des Krieges. Auch wenn solch ein Einsatz Einzelner sicherlich nicht geschmälert werden darf, ist diese Darstellung doch eine absolute Verzerrung der Ereignisse und in der geschichtswissenschaftlichen Forschung seit langem höchst umstritten. Von knapp 140.000 jüdischen Menschen, die vor Kriegsbeginn in den Niederlanden lebten, überlebten 104.000 den Holocaust nicht. Dies entspricht einem Anteil von 75% der gesamten jüdischen Bevölkerung und somit den größten anteiligen Verlusten in Westeuropa. Zum Vergleich: In Frankreich wurde ein Viertel der jüdischen Bevölkerung im Holocaust ermordet. Während die genauen Hintergründe für diese schrecklichen Zahlen höchst komplex sind, ist eine immer wieder angeführte Erklärung die fehlende Unterstützung der niederländischen Bevölkerung und die niederländische Kollaboration mit der Besatzungsmacht. Im Januar 2020 entschuldigte sich Ministerpräsident Mark Rutte (*1967) erstmalig bei der niederländisch-jüdischen Bevölkerung für das Mitwirken des niederländischen Staatsapparates am Holocaust.

Das Nationale Holocaustmonument der Namen an der Weesperstraat, Foto Leah Niederhausen

DAS REFRAMING

Nachdem 1968 am Weesperplaats eine Metrostation errichtet wurde, musste das Denkmal an die angrenzende Weesperstraat versetzt werden. Bis die Arbeiten für das Nationale Holocaustmonument der Namen begannen, das im September 2021 eingeweiht wurde und erstmalig namentlich allen bekannten jüdischen sowie sinti:zze und rom:nja Opfern des Holocausts aus der Niederlande gedenkt. Das Ziel des Denkmals, sich explizit Holocaustopfern, statt der niederländischen Gesellschaft im Allgemeinen zu widmen, wird in einem Design Daniel Libeskind realisiert, in dem auf langen Backsteinwänden jedes bekannte Opfer beim Namen genannt wird. Von oben betrachtet ergeben die Wände das hebräische Wort לזכר („in Gedenken an“). Im Zuge der Bauarbeiten wurde das Denkmal der jüdischen Erkenntlichkeit abgebaut und die bereits seit Jahrzehnten laufende Debatten zur Nutzung des Denkmals erfuhren neue Aufmerksamkeit. Schlussendlich wurde das Denkmal der Scham, wie es die Amsterdamer Bürgermeisterin Femke Halsema (*1966) nannte, an alter Wirkungsstätte neu eingeweiht: Am Weesperplein. Einziger Unterschied zur ersten Enthüllung 1950: eine kleine Messingplakette vor dem Monument, die nicht nur die Hintergründe des Denkmals, sondern auch die der Judenverfolgung inklusive der erschreckenden Todeszahlen in den Niederlanden darlegt. Anstatt das Denkmal abzureißen, soll diese Plakette in Verbindung mit dem nah gelegenen Namenmonument eine historische Kontextualisierung bieten, die Besuchende einlädt, nicht nur die niederländische Holocaustvergangenheit, sondern den Umgang mit problematischen Denkmälern im öffentlichen Raum kritisch zu reflektieren. Ob eine 30 cm große Plakette gemessen an einem metergroßen Denkmal dafür ausreichend ist, bleibt jedoch mehr als fragwürdig.

Plakette vor dem Denkmal der jüdischen Erkenntlichkeit, Foto Leah Niederhausen

QUELLEN

Gemeente Amsterdam Stadsarchief: Monument van Joodse Erkentelijkheid, 2020 [https://www.amsterdam.nl/stadsarchief/stukken/tweede-wereldoorlog/monument-joodse-erkentelijkheid/] Letzter Zugriff am 08.03.2022. 

Hijink, Roel and Gerrit Vermeer: Het monument van Joodse erkentelijkheid, teken van trots en schaamte. Amstelofamum 105(2): 51 – 67, Amsterdam 2018.

Rigter, Lotte: Monument van Joodse Erkentelijkheid na 50 jaar weer op het Weesperplein, 2022, [https://www.nhnieuws.nl/nieuws/300437/monument-van-joodse-erkentelijkheid-na-50-jaar-weer-op-het-weesperplein] Letzter Zugriff am 08.02.3022.

Wagt de, Wim: Vijfhonderd meter namen. De Holocaust en de pijn van de herinnering, Amsterdam 2021.

Wielenga, Friso: Die Geschichte der Niederlande, Stuttgart 2012.